Prof. Dr. Bernd Luderer
TU Chemnitz / Fakultät
für Mathematik / Professur Wirtschaftsmathematik:
Mathe, Märkte und Millionen
Soll man das Skonto auf einer Handwerkerrechnung nutzen oder nicht? Was versteht
man unter der ISMA-Rendite einer Anleihe? Wird man bei stetiger Verzinsung, wenn
das Kapital in jedem Augenblick verzinst wird, reich? Welche Rolle spielen die
abgezinsten Toten bei der Kalkulation eines Versicherungstarifs? Wie und zu
welchem Preis kann man schon heute sichern, dass für einen in drei Jahren
aufzunehmenden Kredit nicht mehr als 7 % Zinsen zu zahlen sind?
Antworten auf diese und viele weitere Fragen liefert die Finanzmathematik, ein
sich stürmisch entwickelndes Teilgebiet der modernen Mathematik mit vielfältigen
praktischen Anwendungen. Keineswegs trocken, wie es der Mathematik oft
nachgesagt wird, nein, außerordentlich spannend ist diese moderne Richtung. Die
im Mittelpunkt stehenden Probleme, durch die eingangs gestellten Fragen
angedeutet, interessieren sowohl jeden Einzelnen bei Entscheidungen des
persönlichen Lebens, sind aber natürlich für Banken, Versicherungen und
Großunternehmen von besonderer Bedeutung. Denn auch die dritte oder vierte
Stelle nach dem Komma in einem Zinssatz oder Wechselkurs ergibt – mit einigen
Millionen multipliziert – immer noch ein hübsches Sümmchen.
Der Nobelpreis für Ökonomie 1997 ging an R. Merton und M. Scholes für ihre
gemeinsam mit F. Black entwickelte Theorie der Optionen. Diese Theorie zur
Bewertung von so genannten Derivaten ist von großem praktischen Interesse,
werden doch an den internationalen Finanzmärkten täglich riesige Volumina
derartiger Produkte gehandelt. Sie ist aber auch vom mathematischen Standpunkt
aus spannend und anspruchsvoll, da sie auf Methoden der stochastischen Analysis
beruht. Die berühmte Black-Scholes-Formel wird vielleicht bald ebenso zum
Allgemeinwissen gehören wie der Satz von Pythagoras. In dieser Formel sind der heutige Kurs einer bestimmten Aktie, der Basispreis (oder Strike), der risikolose Zinssatz bei kontinuierlicher Verzinsung, die Laufzeit, die Volatilität (Schwankung) des Aktienkurses und die Verteilungsfunktion der standardisierten
Normalverteilung. Damit ist man in der Lage, den Preis eines Aktiencalls (das
ist das Recht, aber nicht die Verpflichtung, die zu Grunde liegende Aktie nach
der Zeit zum Preis zu kaufen) zu berechnen und mit den Angeboten der
Finanzmärkte zu vergleichen.
Vielerlei Finanzprodukte und -instrumente dieser Art gibt es mittlerweile und
ständig kommen neue hinzu, für deren Beschreibung und Bewertung adäquate
mathematische Modelle und Methoden erforderlich sind. Viel Stoff für
interessante Forschungsprojekte, die zurzeit in der Fakultät für Mathematik
laufen, wie etwa die Untersuchung von Anti-Trend-Strategien im Handel mit
DAX-Futures, die Bewertung von Callable Bonds und deren numerische Umsetzung und
Integration in das Programmsystem eines großen deutschen Investmentfonds,
Untersuchungen zur Arbitrage in Finanzmärkten sowie zur internen
Performance-Analyse von Investmentfonds. Einbezogen in diese
Forschungsaktivitäten sind Kollegen mehrerer Professuren aus allen an der
Fakultät für Mathematik vertretenen Gebieten.
Damit einher gehen auch neue Lehrveranstaltungen, wie beispielsweise die
Vorlesungen Stochastik der Finanzmärkte, Mathematik im Investment Banking,
Technische Analyse von Finanzmärkten oder Partielle Differentialgleichungen in
der Optionspreistheorie, die an der Fakultät für Mathematik, teilweise in
Zusammenarbeit mit der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, angeboten werden.
Absolventen, die über fundierte Kenntnisse in der Finanzmathematik – gepaart mit
soliden Kenntnissen in Informatik und Wirtschaftswissenschaften – verfügen,
haben heutzutage und in absehbarer Zeit glänzende berufliche Aussichten. Ihre
Einsatzfelder liegen in Banken, Versicherungen, Industrieunternehmen,
Vermögensverwaltungen und ähnlichem; als Berufsfelder kommen
Unternehmensfinanzierung, Portfolio-Management, Handel moderner
Finanzinstrumente, Risikomanagement, Entwicklung neuer Produkte im Finanz- und
Versicherungswesen, Vermögensberatung und -analyse in Betracht, wo der Markt
noch lange nicht gesättigt ist. Ein guter Grund, darüber nachzudenken, ob man
nicht durch konzentrierte Nutzung vorhandenen Potenzials auf dem Gebiet der
Finanzmathematik einen neuen, attraktiven Studiengang schaffen sollte.
Und die Millionen? Die Finanzmathematik liefert zwar wichtige
Entscheidungshilfen und ganz bestimmt eine gute Grundlage, um einen
interessanten Arbeitsplatz zu finden, aber reich werden muss jeder für sich
allein.
(Quelle:
Luderer, Bernd: Mathe, Märkte
und Millionen.
Chemnitz:
TU-Spektrum 2000, Heft 3, S. 31.)
Veröffentlichung online am
15.04.2002 unter www.stiftung-teubner-leipzig.de
mit freundlicher Genehmigung der Chemnitzer Zeitschrift "TU-Spektrum".
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Prof. Dr. rer. nat. habil. Bernd Luderer TU Chemnitz (Foto: Marcus Richter / Archiv der Stiftung Benedictus Gotthelf Teubner.) |
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Seite eröffnet:
Leipzig, 15.04.2002.
© Jürgen Weiß, Leipzig, 2002.